Ein Orkan. Die Zuschauer geben alles. Die Augen leuchten. Es wird geschrieen, geklatscht, ein Lärm, als ob ein Tor gefallen sei. Was ist passiert? Kevin Großkreutz wird in der 75. Minute beim Stand von 1:1 gegen Heidenheim eingewechselt. Die Zuschauern feiern ihn, als ob er schon 111 Spiele für den VfB entschieden hat. Aber er hat bis dahin noch kein Tor geschossen, gerade einmal zehn Spiele für den VfB absolviert.

Großkreutz ist ein Phänomen. Normalerweise werden Spieler dafür geliebt, weil sie mit dem Ball Sachen anstellen können, die einzigartig sind, weil sie besonders gut passen, verteidigen oder Tore schießen können. Großkreutz kann nichts besonders gut. Wahrscheinlich ist es gerade das, was wir an ihm mögen. Denn wir erkennen uns in ihm wieder.

Er ist nicht gesegnet mit überragender Technik, aber er kann trotzdem alles spielen: Außenverteidiger, Außenstürmer, Sechser, Achter, selbst Innenverteidiger und Torhüter war er schon. Großkreutz ist in erster Linie ein Mann der großen Gefühle. Auf Instagram macht er es nicht unter fünf Emoticons oder Ausrufezeichen, da wird gefeiert, gelästert und auch mal geflennt. Big Feelings vom Fisch. Er und der VfB, sie sind nach kurzer Zeit emotional verschweißt, so könnte man meinen. War er lange Zeit der Bruce Springsteen des Ruhrgebietes (»Born for BVB!«), so hat er sich schnell im Schwäbischen eingelebt und wurde von den Schwaben regelrecht als einer der ihren adoptiert. Er ist nicht gerade der Andy Borg des VfB, aber volkstümlich ist er. Nahbar. Kein Selfie ist ihm zu viel, es scheint, Großkreutz hätte ehrliches Interesse an den Menschen. Fisch als Fußball-Frontmann des VfB ist Punk, er hat Soul. Er ist Funk, er ist Rock’n Roll. Wäre er Musiker, würde er stage-diven und mit den Fans Duette singen.

Bei Langweilern der »Generation Lahm« werden Statements, Stylings und Postings in Powerpoint-Charts vorgegeben und auswendig gelernt, entwickelt nach einem Karriereplan, der da heißt: möglichst nirgends anzuecken, möglichst jedem zu gefallen, um möglichst viele Werbepartner zu gewinnen. Doch dieser Kevin Großkreutz ist kein normaler Profi. Er lebt konsequent die ganz großen Emotionen aus, ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist nicht immer clever, aber durchaus sympathisch.

Er teilt mit uns die kindliche Begeisterung für das Spiel. Er nimmt dem Fußball das Kalte, das Geschäftsmäßige und strahlt Freude und Leidenschaft aus. Mit ihm vergesse ich die diskutable Vereinspoltik, die irrsinnigen Transfersummen, die obszönen Jahresgehälter. Kevin Großkreutz reduziert das Ganze auf das Spiel. Den Geruch des Rasens, das Klackern der Stollen, die Gesänge der Fans, den Ball im Netz. Und das schafft er, obwohl er einen AUDI R8 fährt.

Denn es sind die großen Gefühle, warum wir den Fußball so lieben. Der Fußball ist einer der letzten Orte, an denen Gefühle erlaubt, ja ausdrücklich und hemmungslos ausgelebt werden können. Jubel, Wut, Ekstase, Surprise, Wunder, Trauer. Großkreutz lebt uns diese Gefühle vor und er ist so wie wir gerne wären: Auf dem Platz übers Ziel hinaus schießen, auf dem Gehweg parken, das Proll-sein ausleben, sich mit dem Chef zoffen oder verbal die Sau rauslassen, die Konkurrenten dissen und verarschen. Manchmal knapp unterhalb der Niveaugrenze, meist politisch nicht korrekt. Einfach herrlich.

Fisch, bitte bleiben Sie wie Sie sind!

Quelle: Vertikalpass – Denn wir gehen steil.