1310_tor_700

Elfmeter ist, wenn der Schiedsrichter es peift. So sagt es eine alte Fußballer-Weisheit. Und ein Tor ist, wenn der Ball hinter der Torlinie ist, somit das «Rund muss in eckig« erfüllt ist und der Schiedsrichter zur Spielfeldmitte zeigt. So ist es eigentlich üblich. Alle Jahre wieder dann der Eintritt eines Sonderfalles. In Fußballkreisen Phantomtor genannt. So geschehen diese Tage in Sinsheim. Dort spielt das Bundesligateam aus Hoffenheim. Dieser Tage gegen die Werkself aus Leverkusen.

Leverkusen führte mit einem Tor Vorsprung, als ein Loch im Außennetz die Hoffenheimer in die Depression stürzte. 0:2. Zuvor schon hatte der Linienrichter beim regulären Tor für Hoffenheim Abseits angezeigt, der Treffer zählte nicht. Zwei Tatsachenentscheidungen. Shit happens – wie man beiläufig bemerkt.

Worüber alle reden?
Über Moral. Die Leverkusener hätten sie beweisen können. Obwohl der Phantom-Torschütze sich direkt nach seinem Kopfball wegdrehte wusste er wohl, dass der Ball nicht ins Tor gehen konnte. Das hätten er oder einer seiner Mitspieler dem unglückseligen Schiedsrichter sagen können. Moral war auch nicht der Antrieb der Hoffenheimer Stadionregie, als sie die Außennetz-Szene nach dem Abpfiff zeigte und so die für ihre Verhältnisse ohnehin schon aufgebrachten Fans weiter anstachelte. Im Internet handeln selbst die Hüter der Moral unmoralisch und werfen dem Phantom-Torschützen mangelndes Fair Play vor, indem sie ihn als lächerlich, Fiesling (Nett: reimt sich auf dessen Name Kießling) und weitaus schlimmeres betiteln.
Nur der Schiedsrichter ist zur Moral gezwungen. Bedröppelt musste dieser seinen Fehler eingestehen, weil jeder ihn aus verschiedenen Perspektiven und in Zeitlupe unendlich oft anschauen kann.

Im Nachhinein ist leicht zu reden. Das Tor oder auch Nicht-Tor. Abseits oder hauchdünn nicht. Das Foul und die Schwalbe. Der Elfer und der keiner war. Das Tor der Engländer gegen Deutschland und das Nicht-Tor der Engländer gegen Deutschland. Das schlimme Handspiel des Franzosen Henry gegen die Iren. Und und und….

Dass sich alles ausgleicht (was nicht bewiesen ist) ist in dem Moment für den Fan kein Trost. Auch nicht der trotzige Flehruf »Wir werden immer beschissen!« Es ist zum Haare raufen am Rande des Wahnsinns.

Und sie werden wieder lauter. Die Freunde des Videobeweises (wie in der NFL die sogenannte Coach Challenge). Der elektronischen Tor-Technologie. Des vierte Mannes. Der Torlinienrichter. Heiß diskutiert und probiert.

Aber macht das alles besser? Solange Schiedsrichter im Fußball noch bereit sind anzupfeifen – mit der Möglichkeit ausgepfiffen zu werden. Solange Schiedsrichter nicht zu Selbstdarstellern verkümmern und den Sinn des Spiels vergessen. Solange plädiere ich für die Tatsachenentscheidung. Mit allen Konsequenzen. Oft hat ein Spiel nur eine Szene und die restlichen kümmerlichen 89 Minuten werden tot geschwiegen. Man verliert ein Spiel nicht in eben dieser Minute. Da fällt höchstens das Gegentor. Mehr nicht.

Nichts ersetzt die Moral. Im Kampf um Sieg, Geld und Abschneiden darf das Fair Play nicht in den Hintergrund geraten. Und wenn, dann katapultiert sich der Sportler, das Team doch selber ins Abseits. Ungeliebt. Geduldet. Gehasst. Wirklich gewollt?
Eines sollten wir nie vergessen, dass Fußball die schönste Nebensache der Welt ist und keinen deut mehr.

Inspiration & Textauszüge: DIE ZEIT (Victoria Reith)