Wein. Brot. Musik.
Die Harmonikafreunde laden ein – in meinem Heimatort, zu einem Abend, der nach Gemeinschaft klingt. Weinprobe, Brotprobe. Verkosten, genießen, zuhören. Keine Sensationen, keine großen Namen – nur bekannte Melodien, die man summen und singen kann. Vertrautes. Und genau das reicht manchmal schon für einen schönen Abend. Für das Gefühl: Wir gehören zusammen. Für einen Moment, der dem ganzen Dorf guttut.
Einer der Titel des Abends: »Ich war noch niemals in New York«. Natürlich, Udo Jürgens. Für manche klingt dabei sofort seine Stimme im Ohr, für andere vielleicht die Version der Sportfreunde Stiller. So oder so – ein Lied, das Erinnerungen wachruft.
Ich weiß noch genau, wie es war, als ich das erste Mal dort ankam. Gelandet in Newark, mit dem Zug zur Penn Station, mitten hinein in die Stadt. Die Treppe hinauf – und dann dieses Bild: Hochhäuser, Lichter, Straßenschluchten. Alles, was man aus Filmen, Erzählungen und Nachrichten kennt – plötzlich echt. Zum Greifen nah. Du stehst da, schaust nach oben, drehst den Kopf, und merkst: So etwas hast du noch nie gesehen. Es ist gewaltig. Es ist fremd. Es ist überwältigend. Etwas, was bleibt.
Ich glaube, man sah uns damals sofort an, dass wir das erste Mal da waren. Und doch, ein paar Tage später, dachte ich: Vielleicht geht es selbst denen, die hier leben, immer noch so – dieses Staunen, wenn sie den Kopf heben. Diese Stadt ist ein Dauererlebnis.
Und ja – das Reisen, all die Flüge, sind ökologisch fragwürdig. Aber das Wissen um andere Orte, andere Kulturen, ist schwer zu ersetzen. Es verändert den Blick. Es lässt dich verstehen, warum die Welt so tickt, wie sie tickt. Und manchmal, warum du Dinge nicht verstehen willst.
Ich erinnere mich an eine Nacht im November. Mit der Subway nach Soho. Einem Stadtteil. Vier Freunde in einem kleinen Pub, angeblich einer, in dem Bruce Springsteen schon das eine oder andere Getränk genossen haben soll. Der Rückweg im Taxi, der Fahrer ohne Pass, »illegal«, wie er sagt. Aber freundlich, fröhlich, überzeugt davon, dass in Deutschland Dollar die offizielle Währung seien. Wir lächeln, widersprechen nicht. Lassen ihm seine Illusion. Und ich denke: Vielleicht ist genau dieser Mensch, so voller Leben, einer von denen, die unsere Gesellschaft längst nicht mehr will. Wer entscheidet das? Was ist Wohlstand? Wann beginnt Teilen? Und wie fühlt es sich an, nicht zu besitzen, sondern nur zu wollen?
Einige Jahre später war ich wieder dort. Alles bekannt – und doch anders. Mit einer neuen Ruhe, einer anderen Sicherheit. Ich erinnere mich an die Dämmerung auf der Brooklyn Bridge, an das Viertel der orthodoxen Juden, an eine Stille, die lauter war als der ganze Verkehr von Manhattan. Sie hat mich herausgefordert, diese Stille. Und sie begleitet mich bis heute. Vor Kurzem habe ich mir das Buch „Unorthodox“ gekauft – vielleicht hilft es mir, ein bisschen mehr zu verstehen. Jahre später.
Ein drittes Mal: Wir zu fünft, laufend durch New York. Den Marathon. Stundenlang durch die Stadt, durch Viertel, die sich täglich verändern, durch Menschenmengen, die jubeln, feiern, tragen. Wieder ein anderes Bild dieser Stadt. Wieder ein anderes Ankommen.
»Ich war noch niemals in New York?« – Ich sage es an diesem Abend lieber mit Fragezeichen. Nicht als Behauptung, nicht mit Pathos, sondern mit Respekt. Denn vielleicht meint das Lied gar nicht das Reisen selbst. Sondern die Sehnsucht danach. Dieses unruhige, leise Ziehen im Inneren, das dir sagt: Da ist noch mehr.
New York – diese Stadt bleibt für mich ein Versprechen. Eine Stadt, die sich täglich neu erfindet, die lebt von ihren Gegensätzen, ihren Menschen, ihren Geschichten. Und jedes Mal, wenn ich dort war, war ich anders.
Vielleicht ist das das Verrückte – und das Schöne zugleich. Dass es nicht darum geht, anzukommen, sondern offen zu bleiben. Zu sehen, zu verstehen, zu teilen.
Nun: Es ist eine neue Sehnsucht in mir entfacht – ich will noch einmal nach New York, für mich. Offen für das, was war, und das, was werden könnte. Ein Stück radeln entlang des Hudson Rivers. Coney Island. Oder das was mir zufliegt – wie die Besuche zuvor. Fast schon so was wie Vorfreude.
