
Orte von Attentaten sind wiederholbar und/oder frei aufzuzählen. Jetzt Nizza. Weitere Stätten werden dazu kommen. Vermutlich. Leider.
Es ist gerade viel von Angst die Rede. »Ihr wollt, dass ich Angst habe. Vergesst es!« schrieb unlängst der Spiegel nach den Attentaten von Paris.
Sind wir wirklich so mutig? Oder könnte es sein, dass wir gerade eine kollektive Trotzreaktion an den Tag legen? Die Alternative schließlich müsste bedeuten, den Terror zu fürchten. Und es gibt kein Gefühl, das Menschen weniger gut aushalten als Angst.
Genau das aber könnte ein Missverständnis sein. Denn Angst an sich ist eigentlich etwas Nützliches. Sie ist ein natürlicher Schutzmechanismus, der uns dazu bringen soll, gefährliche Situationen zu erkennen und zu lösen. Man bezeichnet dies in der Psychologie auch als Furcht oder Realangst, weil sie einen Grund hat. Zum Problem wird Angst erst dann, wenn sie zu einem diffusen, generalisierten Gefühl wird, für das es eigentlich keine Ursache gibt.
Wenn man also zum Beispiel Angst davor hat, dass alle Geflüchteten potenzielle Attentäter sind, ist das eine sinnlose Angst. Wenn man den Terrorismus fürchtet, wegen der sich wiederholenden Anschläge, spinnt man nicht herum. Diese Furcht beruht auf Fakten. Es könnte also sein, dass es gar nicht dumm ist, den Terror zu fürchten. Klüger vielleicht, als einfach weiterzumachen wie bisher.
Das Missverständnis der Angst liegt in der Idee, dass wir die Wahl zwischen zwei Reaktionsmöglichkeiten haben: Als könnten wir uns jetzt nur vor dem Terrorismus verkriechen oder ihm trotzen, indem wir einfach weitermachen wie bisher. Beide Reaktionen sind extrem – und unpassend.
Kein Mensch kann in ständiger Alarmbereitschaft leben. Wie wenig das bringt, zeigt das Beispiel der »Orange Alerts« in den USA. Dieses System ist dafür da, Angst zu erzeugen, damit die Menschen wachsam bleiben. Das funktioniert, erzeugt aber mit der Zeit ein anderes Problem: Weil es keine konkrete Bedrohung gibt, man aber irgendwie handeln will, tun die Menschen absurde und tragische Dinge, indem sie etwa Notfallreserven horten oder Turban tragende Männer angreifen.
Eine bessere Strategie, raten Psychologen, ist ein Realitätsabgleich. Man macht sich also klar, wie viel Grund man tatsächlich hat, sich zu fürchten. Daraus folgt, dass wir in dieser Situation ruhig weiter draußen Kaffee trinken, Konzerte besuchen, Public Viewing und in Biergärten gehen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir dabei einem Terroristen begegnen, ist sehr gering. Kleiner jedenfalls, als von einem Typen angefahren zu werden, der zu viel Bier getrunken hat.
Denn die Anschläge zeigen etwas sehr Wichtiges: Sie haben das Gefühl aufgehoben, dass Außenpolitik etwas ist, das weit weg stattfindet und nichts mit unserem normalen Leben zu tun hat. Die Flüchtlinge, die der Krieg in Syrien und Irak nach Europa geschwemmt hat, konnten wir, wenn wir wollten, noch irgendwie als Problem anderer Leute sehen. Aber Angriffe auf Cafés und Konzertbesucher, die wahrscheinlich von Männern mit europäischen Pässen verübt wurden – das ist sehr, sehr nah dran uns. Die Illusion der Trennung zwischen unserer Welt und der da drüben, im Nahen Osten, ist vorbei.
Und das braucht eine bessere Antwort als Trotz. Wenn wir sagen, dass wir unsere in den vergangenen Wochen immer wieder beschworene freie Kultur jetzt weiterleben, indem wir nun erst recht Bier trinken, shoppen und darauf zählen, dass es uns schon nicht persönlich erwischen wird, ist das nicht mutig, sondern kindisch.

Und es erzeugt ein Wir-gegen-die-Gefühl, das die Situation noch verschärfen kann. Das zu sehen, ist wichtig, weil Psychologie die wichtigste Waffe des Terrorismus ist.
Terroristen haben nur begrenzte Ressourcen. Sie können immer nur wenige Menschen an einigen Orten angreifen. Ihr eigentliches, größeres und globales Ziel liegt in der Psyche der Menschen. Während also die Wahrscheinlichkeit, selbst körperlich Schaden durch Attentäter zu nehmen, sehr klein ist, können sie uns leicht psychisch erwischen: Indem wir uns zum Beispiel auf ein Schwarz-Weiß-Denken einfahren, das »unsere freie, westliche Lebensweise« gegen die Werte der »anderen« stellt, wer auch immer die sein mögen – nur Islamisten oder einfach Muslime allgemein, das ist nicht so ganz klar.
Der amerikanische Psychologe Robert Firestone bezeichnet diese Dynamik als »Fantasy Bond« (eingebildete Verbindung). »Die Teilnehmer haben eine gemeinsame Illusion, die ein Gefühl von Sicherheit und Unsterblichkeit vermittelt. Es gibt eine klare Tendenz zur Idealisierung der ‚inneren‘ Gruppe, jegliche negativen Aspekte oder Falschhandlungen werden negiert. Die Mitglieder projizieren eine kritische, feindliche Haltung auf die ‚äußere‘ Gruppe, die damit dämonisiert wird«, schreibt er. Das Gefühl von Trost und Sicherheit, das dabei für die »innere Gruppe« entsteht, beeinflusst die Beziehung zu Menschen anderer Ethnien, Religionen und Überzeugungen negativ. »Tragischerweise ist dieses Phänomen ein Vorläufer für repressivere und gefährlichere Formen der Polarisierung«, meint Firestone.
Die Ironie liegt natürlich darin, dass auch ISIS-Mitglieder einen »Fantasy Bond« teilen. Der psychologische Druck, den ihr Terror erzeugt, lässt harte Fronten stehen, die genau ihrem Weltbild entspricht. Die Zwischenstufen zu entfernen, das wissen wir mittlerweile, ist ihr erklärtes Ziel.
Umso wichtiger ist, es mit der Angst, die der Terror erzeugt, anders umzugehen, als ISIS-Strategen das wollen und erwarten. Der israelische Psychiater Oded Arbel, der in seiner Praxis Menschen begegnet, für die Terrorgefahr eine alltägliche Realität ist, sagt: »Man kann sich nicht entscheiden, ob man Angst hat oder nicht. Man kann sich nur entscheiden, wie man damit umgeht. Die größte Gefahr der Angst besteht darin, dass man sie vermeidet. Dann ist sie wie ein Krebs, sie wächst und breitet sich aus. Was gegen Angst hilft, ist, etwas Konstruktives mit ihr zu machen, Lösungen zu finden und anderen Menschen zu helfen.«
Man kann es auch mit den Worten des Beatnik- Schriftstellers James Neil Hollingworth sagen: »Mut ist nicht die Abwesenheit der Angst, sondern die Erkenntnis, dass es etwas gibt, das wichtiger ist als die Angst.«
Quelle: DIE KRAUTREPORTER | Theresa Bäuerlein