Jungs, warum balanciert ihr an roten Ampeln auf dem Rad?
Damit könnt ihr euch doch nur peinlich machen. Oder?

Die Mädchenfrage:

Liebe Jungs,

Sehr viele Unfälle lassen sich vermeiden. In Hausschlappen auf einen Stuhl zu steigen, um an den letzten Beutel Ingwertee zu kommen: muss nicht sein. Während des Gehens Whatsapp-Nachrichten schreiben: auch nicht. Auf dem Fahrrad umkippen? Im Stehen? An roten Ampel? Eigentlich auch nicht.
Mit einem Fahrrad bei Tempo null umzufallen, ist nicht nur unnötig und schmerzhaft. Es ist auch peinlich. Denn es passiert draußen, an den großen, ampelbewachten Kreuzungen der Stadt.

Dort lassen sich während quasi jeder Rotphase Menschen beobachten, die auf ihrem Rad balancieren, statt abzusteigen. Hundert Meter vor der roten Ampel hören sie auf zu treten, werden langsamer, je näher sie kommen, immer langsamer, bis das Rad steht und sie nur noch balancieren. Sie spannen jeden Tiefenmuskel ihres Fahrradfahrerkörpers an, lupfen den Hintern, um mehr Druck auf die Pedale zu kriegen. Sie versuchen erst in kleinen kontrollierten, dann in größeren, panischeren, Rüttelbewegungen am Lenker gegen die Schwerkraft zu gewinnen. Wackeln, Schwanken, Schwitzen. Bis es endlich grün wird. Oder bis sie kurz vor dem Umkippen doch noch aus der Balancetrance erwachen und einen Fuß auf den Boden kriegen. Menschen, die das tun, sind in aller Regel männliche Wesen.
Und das, liebe Jungs, das müsst ihr uns erklären. Was bewegt euch zu dieser Akrobatiknummer an der roten Ampel? Warum steigt ihr nicht ab wie wir? Lächelt dem Autofahrer nebenan zu, wählt auf dem iPod den nächsten Track für die Weiterfahrt aus oder schaut einfach entspannt in die Luft?

Wir haben ja inzwischen verstanden, dass der Stadtverkehr ein einziges endloses Radrennen ist. Ein knallharter Wettkampf. Wir haben verstanden, dass es nerven kann, auf der rechten Radwegspur hinter der trantütigen City-Trekking-Tante gefangen zu sein oder von einer Bürohornisse in Warnweste bedrängt zu werden. Aber sind die Rotphasen da nicht gerade umso wichtiger, sozusagen um Kraft für die nächste Etappe zu sammeln? Warum vergeudet ihr diese wertvollen Sekunden mit Herumhampeln? Es gibt keine Haltungsnoten im Radwettkampf. (Und falls ihr denkt, es gäbe sie, lasst euch sagen: Ihr seht beim Ampelbalancieren eher spackig aus.)

Quelle: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG | Von Lena Jakat und Christian Helten