Neon war mal laut und grell, stand für Provokation, Gefahr und Techno: Aber spätestens seitdem die Büro-Radler neonfarbene Warnwesten tragen, ist das alte Neon verstummt.
Neon schrie. Neon schrillte. Neon schmerzte. Gelb, Grün, Blau, Orange, Pink – immer grell, immer laut. Neon war das Andere, das Künstliche. Ein Kind des frühen 20. Jahrhunderts, ein Rabauke, ein Krachmacher, der zunächst Freunde in der Werbebranche fand. Bier, Bars, Zigaretten, Neon machte alles mit, liebte verruchte Schaufenster, war das Ecstasy New Yorks, lange bevor es Ecstasy gab. Hielt den Times Square wach, hielt New York wach, erweckte mit optischer Dauerbeschallung die Illusion der niemals schlafenden Stadt.
Doch Neon war nie nur in der Mad-Men-Welt zu Hause. Neon ging auch dahin, wo es dreckig war, wo es wehtat, wo man sich nicht verstellen musste. Neon rief nicht nur »Aufgepasst!«, sondern auch »Achtung!«. Markierte gefährliche Fahrzeugteile und niedrige Decken, sorgte sich um uns. Neon schützte Personen, die sonst keinen Personenschutz bekamen, arbeitete als Bodyguard der Bauarbeiter: Leuchte uns an und wir leuchten zurück. Neon ließ sich nichts gefallen, Auge um Auge.
Als die Kunst den Alltag entdeckte, traf auch sie auf Neon. Rupprecht Geiger ließ neonfarbene Formen aufeinanderprallen, Warhol stürzte sich mit Neon auf Marylin Monroe. Neon wurde Popstar und Liebling der coolgeilen Jugend. Antifarbe, neuartig, laut. Perfekte Provokation, Farbe der adoleszenten Rebellionen der achtziger Jahre. Mit Leggings und Stirnband diktierte Neon die Mode, ravte durch die Neunziger, fluoreszierte über Dancefloors und Trancefloors und zeigte denen, die nur noch Farben sehen wollten, nur noch Farben.
Dann war es vorbei. Zehn Jahre Entzug.
Vor wenigen Jahren zerrte man Neon wieder ins Scheinwerferlicht, auf die Laufstege und Partys und klar, Neon machte mit, weil Neon immer mitmachte, aber es hatte sich verändert. Es war nicht mehr wild, nicht mehr neu, Neon war runtergekommen.
Wie gealtert-geläuterte Rockstars Vorschulgitarrenkurse auf YouTube geben und in Talkshows wasserglasnippend verkünden, endlich angekommen zu sein, ist auch Neon angekommen. Im Mainstream, im Überall. Aber damit eben auch im Nirgendwo, denn Neons eigentliche Aufgabe war das Auffallen. Aber wie soll man auffallen, wenn man überall ist? Wenn einer schreit, hört man hin, wenn alle schreien, hört man weg. Wenn alles leuchtet, leuchtet nichts.
Neon war anders, heute ist es jeder. Neon ist der radelnde Beamte mit seitlich herunterhängenden Gepäckträgertaschen, der Nulldraufgänger, der Wörter wie radeln verwendet und die Warnweste zur Rushhour trägt. Nicht schön anzusehen, aber gut zu sehen. Neon ist der Jogger: kein Schuh mehr ohne Neon, keine Runde im Park mehr ohne grellgelbe Kleidung. Wenn Neon in ist, ist Neon out. Der Starke ist am mächtigsten allein.
Das alte Neon, es würde sich heute eine schwarze Jacke überziehen.
DIE ZEIT | Autor: Philipp Reinartz
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