Was ist geschehen? Worte fehlen. Unglaublich. Mir war klar dass wir gewinnen werden. Unsere Nationalmannschaft ist so auf ihr Spiel und den Erfolg fokussiert. Nicht erst seit gestern. Manches blieb während des Turniers unerkannt. Den Hebel auf Sieg gestellt. Vielleicht vergleichbar mit Sebastian Kienles Sieg beim Ironman Frankfurt vergangenen Sonntag. Die Sprinterfolge des Marcel Kittel bei der Tour de France. Eine natürlich Folge. Aber so? Historisches Ausmaß?
Oliver Fritsch von DER ZEIT: … Danach weinten die Menschen in den gelben Trikots auf der Tribüne. Ein Mann mit traurigem Gesicht klammerte sich an einen Pokal aus Pappe. Es war ein Schock, der die lauten Brasilianer minutenlang verstummen ließ. Dann hörte man mehrere Schreie einzelner Menschen. Brasiliens Spieler erstarrten. Das Spiel, dieses Turnier war sehr wichtig für das Land. Nach dem Spiel gegen die Deutschen fühlten sich die Brasilianer geschrumpft, der Bedeutung beraubt.
Die deutschen Fans waren trunken vor Freude. Doch die Spieler und Trainer spürten, dass an diesem Abend etwas zerstört worden sein könnte. Sie waren auf Gegner getroffen, die Lasten schultern mussten, die Menschen nicht schultern können. Die Seleção nahm nach der Verletzung Neymars allen Mut zusammen und stürmte für ihr Land. Das ging fünf Minuten gut, doch mit den ersten Angriffen der Deutschen, spätestens dem ersten Tor, brach Brasilien in sich zusammen. Angst vor dem Versagen stand in den Gesichtern.
»Das ist eine schmerzhafte Niederlage für Brasilien«, sagte Löw ohne Häme, «sie ist schwer zu verdauen.« Mehrere Spieler der beiden Teams umarmten sich auf dem Feld. Es waren herzliche, respektvolle Szenen.
Die Mannschaft wollte Brasilien nicht die Würde nehmen
Mitleid gilt zwar als Erniedrigung im Fußball. Doch alles andere als Mitleid wäre unmenschlich gewesen an diesem Abend. Auch das hat das Spiel geleistet: Es hat Mitleid im Fußball erlaubt. Und so sah man die deutschen Spieler nach Abpfiff zwar lächeln, aber Überschwang war ihnen fremd. Ihre Jubelgesten fielen mit jedem Tor schüchterner aus. Die Mannschaft wollte ins Finale. Was sie nicht wollte: Brasilien die Würde nehmen.
1:7 – die deutschen Spieler nahmen dieses Zahlenpaar nahezu geschäftsmäßig zur Kenntnis. Bloß Müller sagte, der Eintrag in die Geschichtsbücher sei dem Team wohl sicher. Die meisten Spieler sprachen nicht mit der Presse oder viel kürzer als sonst, als wollten sie so schnell wie möglich nach Rio, zum Endspiel. Vielleicht reagierten sie auch deswegen so nüchtern, weil sie wussten, dass sie einen Gegner bezwungen hatten, in den die Machtlosigkeit gefahren war. Und dass das Ergebnis dieses Spiels womöglich nicht viel über das Finale aussagt.
Falls das Team am Sonntag nicht Weltmeister werden sollte – das Geschenk des 7:1 gegen Brasilien wird die Fußballwelt nie vergessen. Uns bleibt immer Belo Horizonte.
In meinem Dorf fuhren die Autos Korso. Nieselregen tat der Stimmung keinen Abbruch. Weit nach Mitternacht. Ich machte mich auf den Heimweg. Entlang der hupenden Autos auf dem Gehweg. Mit dem Fahrrad (wäre Bürgersteig vielleicht doch der bessere Begriff?). Über meinem Nationaltrikot eine Regenjacke. Zum Feiern war mir nicht zu Mute. Eine Sache der Würde. Des Respekts. Und die Sportfreunde Stiller twittern 5474902014.