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„Es geht um ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren, aber ein wenig Stil und Format gehören dazu“, so wird der bayrische MP Horst Seehofer zur Lex Hoeneß zitiert. „Da hat jeder seine eigene Maxime, und das ist auch richtig so. Ich folge der Bibel, wonach jeder den anderen so behandeln sollte, wie er selbst behandelt werden möchte.“

Trivialer kann kein Beistand geleistet werden. Die Bibel. Immer gut. Kann ja niemand so richtig dagegen anstinken. Oder ist Vorsicht geboten.

Nachfrage erlaubt. Was will der Herr Seehofer uns sagen?

Dieser Satz der Seehofer’schen Bibelfestigkeit ist einfach. Und auch nicht. Philosophen, Glaubenslehrer jedweder Couleur haben sich geäußert. Steht überall drin. Deshalb eigentlich nicht typisch biblisch.
Immanuel Kant entfaltete 1785 seinen Kategorischen Imperativ. Dessen erste Formulierung appelliert wie die Regel an die autonome Entscheidungsfreiheit des Einzelnen: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“
Damit ersetzte Kant die Prüfung, ob man sich das beabsichtigte eigene Handeln als davon Betroffener wünschen würde, durch die Prüfung, ob man sich das eigene Wollen als Gesetz für alle vernünftig vorstellen könne. Er verlangte also, bei moralischen Entscheidungen von zufälligen Umständen und individuellen Interessen abzusehen und diese rational einsichtigen allgemeingültigen Gesetzen einzuordnen. Mhh – so gemeint Herr Seehofer?

Kants zweite Formulierung schloss den Missbrauch anderer Menschen als Mittel für egoistische Zwecke explizit aus: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“

Entgegen Kants Distanzierung identifizierte Arthur Schopenhauer dessen ersten Kategorischen Imperativ 1841 mit der negativen Regel. Diese umschreibe zusammen mit der positiven Form nur die „von allen Moralsystemen einstimmig geforderte Handlungsweise“

„Verletze niemanden, vielmehr hilf allen, soweit du kannst.“

Damit lasse Kant stillschweigend doch wieder nur den Egoismus entscheiden, was dieser als oberstes Gesetz anerkennen wolle.

Übrigens ist die Seehofer’sche Bemerkung einer der Kernsätze des Pazifismus. Er beinhaltet den völligen Verzicht auf Macht und Gewalt als einzige glaubwürdige Lebensweise von Christen (unter Verwendung des Bibelzitates) an.
Leo Tolstoi begründet in seinem Hauptwerk »Das Himmelreich in euch (1893)« seine „Theorie des christlichen Nichtwiderstandes“ (Gewaltfreiheit) mit Jesu Bergpredigt und Feindesliebe.

Was also? Trivialer Seehofer’scher Politiker-Bullshit oder das Outing: Der Herr Seehofer ist Pazifist!

Ich mag den Seehofer nicht. Noch nie.