»Du musst links von dem Strudel reinspringen. Rechts zieht es dich nach links.« Was kein Widerspruch ist. Auch kein Problem. Und wenn, »steht Rita mit dem Seil da. Du greifst es und sie zieht dich raus.«
Ich bin mir nicht sicher ob sie noch »alles easy« gesagt hat. Ich solle wenn alles gut ist mit der Faust auf den Helm klopfen, als Zeichen dass alles ok ist. Ich bin nicht der Erste unserer Gruppe der hier springt. Auf jeden Fall höre ich ein »Brille runter«. Das war die Ansage.
Na prima.
Die Ausgangslage
Irgendwo in einem reißenden Bergbach bei Gunzesried im Allgäu. Einsteiger-Canyoning wie ich später lesen werde. Für mich durchaus genügend. Reicht. Gruppe von 12 Personen. Dazu 14 Dioptrien Glasstärke meiner Brille. Die Dioptrie (griechisch: Mittel zum Durchsehen) ist übrigens die Maßeinheit für die Brechkraft optischer Systeme und stellt den Kehrwert der Längeneinheit Meter dar. Auf jeden Fall ist bei 14, beim Auftauchen nix mit schnell mal ein Seil greifen. Werde das Ding weder sehen noch greifen können. Sprich: der Sprung muss passen. Oder Rita muss ins Wasser.
Wenn man weiß, dass ich im Schwimmbad nicht vom Beckenrand reinspringe, von höher sowieso nicht, entspannt es diesen Moment mitnichten.
Letzte Instruktion: Das Wasser ist nicht so tief. Deshalb Arschbombe. Und beim Absprung einen Schritt nach vorne. »Nicht wie vorhin!« Es war bereits der zweite Sprung. Beim ersten Versuch (ebenfalls ohne Brille) machte ich diesen Schritt wohl nicht. Kam trotzdem unten an. Fühlte mich ganz gut.
Zuvor seilten wir uns bereits an Abhängen und seitlich von Wasserfällen ab. Robbten und rutschten durch den Gebirgsbach. Übten und bekamen zig Hinweise was wir tun und bitte lassen sollen.
Wissbegierig hören wir zu. Legen unsere Leben in die Hände von Grit und Rita.
Feinfühlig, geduldig ohne Druck aufzubauen lassen sie uns gewähren. Den Sprung dann zu machen wenn wir innerlich dazu bereit sind.
Auch die Gruppe. Kein »jetzt spring schon« oder ähnliches. Wir fühlen mit- und füreinander. Spüren den gemeinsamen Druck. Gefühlt springen wir gemeinsam. Nur Jede(r) für sich. Hintereinander. Dann wird die Freude geteilt. Eine schöne Erfahrung. Wenn Menschen ein Auge füreinander haben. Gedanken, Bedenken, Freude teilen. Auch wenn es nur um Canyoning geht.
Ich fixiere die Stelle. Öffne den fetten, groben Reißverschluss an meinem hellblauen Neopren-Anzug. Verstaue die Brille. Schließe den Verschluss. Sehe den Strudel nicht mehr. Nur den Farbunterschied zwischen weiss und blau. Muss eher nach blau. Losspringen. Schritt nach vorne. Füße anwinkeln.
Ich mag es im Leben Respekt vor einer Sache zu haben. Auch zu zeigen. Abzuwägen. Es flunzt eben nicht alles von alleine. Respekt vor einer Aufgabe fördert die Konzentration. Auch wenn es nur ein Vier-Meter-Sprung ins Wasser ist. Auch wenn es nur ein wiederholen von dem ist was andere bereits hinter sich haben.
Dann springe ich.