Dieser Text stammt von Antje Vollmer. Geboren 1943, saß mit Unterbrechungen von 1983 bis 2004 im Bundestag. Die evangelische Pastorin ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und hat sich um die Ost-West-Annäherung verdient gemacht.

»Nein, Schluss mit dieser Politik ohne Konzept« Ich bin gegen einen Boykott. Denn ich habe weder privat noch im Umgang mit Völkern erfahren, dass die »schwarze Pädagogik«, die Pädagogik der Demütigung, die ein Land in eine Richtung ohne Ausweg treibt, je ihr Ziel erreicht hätte. Sie erreicht eine Verhärtung. Sie erreicht die Abkehr von einer Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft des Kontinents. Sie erreicht in der Regel einen trotzigen Nationalismus. Eine Geste der nationalen Selbstbehauptung, von der das Land schwer wieder runterkommt. Ich glaube, dass wir im Moment alle Gewinne der Entspannungspolitik verschleudern, ohne etwa Adäquates dafür zu bekommen. Zudem halte ich es für absurd, dass man die Schuld für den Flugzeugabschuss einem Menschen wie Putin allein in die Schuhe schiebt. Das ist eine Tragödie in einem Bürgerkrieg. Für solche Fälle haben wir die Diplomatie, die nicht auf dem öffentlichen Markt ausgetragen werden sollte. Sie muss ohne Hass fragen, was war. Und abwägen, welche Schritte zu gehen sind, um den Konflikt zu deeskalieren. Und zwar mit Konzept. Das vermisse ich völlig. Der KSZE-Prozess war ein Konzept. Die Entspannungspolitik war ein Konzept. Gorbatschows Gemeinsames Europäisches Haus war ein Konzept. Boykottmaßnahmen, die nur hysterisieren, und Debatten, die ständig eine Person dämonisieren, sind kein Konzept. Sie sind kontraproduktiv und politisch dumm. Alle Erfahrungen zeigen: Sanktionen treffen Menschen und verhärten Machtstrukturen. Eine Lösung der Ukraine-Krise wird es nur gemeinsam mit Russland geben. Gerade die Deutschen, die Gorbatschow ihre Wiedervereinigung verdanken, sollten dazu endlich einen Beitrag leisten.

Quelle: Publik-Forum