»Eines Tages, o Baby, werden wir alt sein, und die Geschichten erzählen, die wir hätten erleben können.« So beginnt ein Lied, das eine junge Frau bei einem poetry slam, einem Dichterwettbewerb, vorgetragen hat. Das Video dazu wurde per facebook so oft verschickt wie kaum ein anderer Beitrag zuvor.
Sie beschreibt darin ihr Lebensgefühl: Das Zögern, das Abwarten, ob noch etwas Besseres kommen könnte, die Möglichkeiten, die man hätte, würde man sie ergreifen, die Fehler, die einem passieren könnten, würde man etwas tun. Ein Leben im Konjunktiv. Ein Leben, in dem sich das, was möglich gewesen wäre, im Kopf anhäuft anstatt im wirklichen Leben.
Was die junge Frau in ihren poetischen Worten beschreibt, wird auch von Soziologen beobachtet, die unsere gesellschaftlichen Stimmungen und Trends analysieren. Sich für etwas zu entscheiden fällt schwerer. Jugendlichen wie den Älteren. Entschlusskraft und Zielstrebigkeit: Beides gehört zum Lebenslernprozess. Eigene Entscheidungen zu treffen und ihre Folgen zu tragen. Lebe ich im ICH oder werde ich für etwas und wenn ja für was und wie gebraucht.
Die junge Frau stellt dieses Leben im Konjunktiv in den Zusammenhang der Frage: Was wird am Ende sein, wenn ich alt bin? Werde ich dann nur von den Möglichkeiten, die ich gehabt hätte, erzählen, oder vom Leben, das ich gelebt habe?
Was würde ich ihr sagen, wenn ich um Rat gefragt würde? Altkluge Satzbausteine stammeln wie etwa: Das Leben ist ein Geschenk! Die Fülle des Lebens liegt vor dir. So viel ist möglich. Du wirst nicht nur glückliche Zeiten haben. Es wird Momente geben, in denen du dich entscheiden musst, den einen Weg zu gehen und den anderen nicht. Kann sein, dass du das später mit Bedauern und Wehmut siehst. Dass das Leben kein Wunschkonzert kein Ponyhof ist. Dass die eine oder andere Chance vielleicht liegen bleibt. Zurück als Sehnsucht im Herzen. Aber all das ist Teil deines Lebens: der gelebte Moment, die gelebte Entscheidung, und das, was hätte sein können. Deshalb: Leb nicht im Konjunktiv, im Zögern, im verhaltenen: »Was hätte sein können». Das Leben ist nicht »Hätte hätte Fahrradkette!« Lebe tapfer oder leidenschaftlich oder auch unspektakulär in dem, was dir möglich ist.
»Du zeigst mir den Weg zum Leben. Dort, wo du bist, gibt es Freude in Fülle« (aus Psalm 16)
Quelle/Inspiration: SWR-Morgengedanken