Tod als Strafe – Todesstrafe – ein Relikt aus einem Menschen- und Rechtsverständnis, das wir – offiziell zumindest – hier in Deutschland hinter uns gelassen haben. Andernorts denkt und handelt man noch anders: in weiten Teilen der USA, in China, Nordkorea, Weißrussland … Es gibt noch zu viele Staaten, in denen sich Richter anmaßen, über Leben und Tod zu entscheiden. Eine kriminelle Handlung wird mit einer anderen bestraft. Das kann nicht im Sinne der Menschlichkeit und schon gar nicht im Sinne Gottes sein.
Und doch lesen wir immer wieder in der Bibel Geschichten, in denen Gott mit solchen Vorstellungen in Verbindung gebracht wird. Auch hier wieder: Israel war ungehorsam, aufsässig, undankbar gegen seinen Gott – und der fackelt nicht lange. Er schickt Schlangen, an deren giftigem Biss viele sterben. Das ist grausam, brutal und unbarmherzig. Und doch können sich die Befürworter der Todesstrafe durch diese Geschichte bestätigt fühlen. Denn Gottes Maßnahme scheint ihren pädagogischen Zweck zu erfüllen: Das Volk zeigt Reue und bittet um Vergebung.
„Selber schuld“ – das höre ich immer wieder, wenn jemandem ein Unglück widerfährt: Es trifft den Motorradfahrer, der mit 180 Sachen aus der Kurve geflogen und gegen einen Baum geknallt ist; es trifft den todgeweihten Lungenkrebspatienten, der sein Leben lang wie ein Schlot geraucht hat; es trifft den tödlich verunglückten Skicross-Fahrer, der unbedingt gewinnen wollte; es trifft den erschossenen Soldaten in Afghanistan, der für sein Land die Freiheit am Hindukusch verteidigt hat; es trifft die Fixerin, die an einer Überdosis gestorben ist … „Selber schuld.“ Kein Urteil kann grausamer – und gottloser – sein, als diese zwei Worte. Denn sie machen die Opfer zu Tätern und den Tod zu einem zwangsläufigen und verdienten Schicksalsschlag, bei dem Gott nicht mehr gebraucht wird – nicht einmal als Strafender.
Es hat Zeiten gegeben, in denen fast alles, was Menschen an Schlechtem widerfuhr, als Strafe Gottes verstanden wurde: Erfolglosigkeit, Einsamkeit, Krankheit, Tod … All das war lediglich die Konsequenz für etwas, das letztlich an einem selbst haftete: ein körperlicher Makel, ein falscher Glaube, eine missliebige politische Gesinnung, ein fremder Lebenswandel … Irgendetwas provozierte Gottes Missfallen – und veranlasste ihn, entsprechend zu handeln.
Diese Zeiten sind noch nicht vorbei! Erinnern wir uns an manche Kommentare zum Thema „Aids“ oder zum Hurricane Kathrin. So ganz befreien können wir uns nicht davon, dass es uns im Leben nach unserem Tun ergeht, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen meinem Handeln und meinem Befinden. Auch wenn wir wissen sollten, dass wir damit scheitern. Spätestens dann, wenn es für das unfassbare Leid keine Erklärung gibt. Gott steht dennoch im Raum, doch verwandelt sich das „Darum“ in ein „Warum“, das Ausrufezeichen verformt sich zu einem Fragezeichen. Warum sterben 22 Kinder bei einem Busunglück? Warum tötet ein junger Mann drei Kinder in Toulouse? Warum lässt Gott das zu?
Wenn man der Vorstellung Israels von einem strafenden Gott überhaupt etwas Positives abgewinnen kann, dann dies, dass auch das größte Leid nicht gottlos ist. Das macht das Leiden nicht erträglicher, aber es schafft immerhin Raum für Hoffnung. Denn wenn Gott der Verursacher einer Katastrophe ist, dann kann er auch der Retter sein. So jedenfalls vermittelt es uns der Predigttext. Dennoch bleibe ich skeptisch, ich wehre mich dagegen, dass Gott in irgendeiner Weise den Tod von Menschen veranlasst oder auch nur will. Aber wir ChristInnen müssen das Leiden in der Welt irgendwie mit unserem Glauben an den liebenden Gott zusammenbringen. Das sind wir jenen schuldig, die uns danach fragen: den Leid tragenden.
Werfen wir einen Blick auf den zweiten Teil der Geschichte: Gott instruiert Mose, ein Schlangensymbol aufzurichten. Wer gebissen wird und sich dem zuwendet, bleibt am Leben. Ausgerechnet der Anblick einer Schlange, des Tieres also, das ihr Leben bedroht, soll die Israeliten vor dem Tod bewahren. Das ist – gelinde gesagt – seltsam … und zugleich wundervoll. Der Blick der Israeliten hebt sich weg von den Tod bringenden Schlangen am Boden empor zum Stab. Sie schauen befreit nach oben. Was sie da sehen, erinnert sie zwar noch an das, was ihnen Angst macht, aber davon geht keine Gefahr mehr aus. Sie werden zwar noch gebissen, aber sie sterben nicht mehr.
Dem Leiden in die Augen schauen, ohne sich davon Gefangen nehmen zu lassen … Sich dem Leiden stellen, aber ihm keine Endgültigkeit zuzugestehen … Vielleicht gelingt uns das ja. Vielleicht kann das trösten, ja Hoffnung geben. Denn es bedeutet, vor den das Leben bedrohenden Herausforderungen nicht zu kapitulieren, dem Leben immer noch das Lebenswerte abzugewinnen, das Gute der Schöpfung zu entdecken, dem Segen, der über allem liegt, nachzuspüren. Gott selbst da zu finden, wo niemand zu suchen wagt, das schenkt uns unser Glaube. Der Tunnel in der Schweiz, die jüdische Schule in Toulouse – es sind ebenso Orte Gottes wie die Unterführung in Duisburg während der Love-Parade, wie das Kindersoldatenlager irgendwo in Zentralafrika, wie das Gefängnis in Abu Ghraib, wie die Straflager in Weißrussland, ja selbst auch wie das KZ in Ausschwitz. Denn wo das Leiden Gott ausgeblendet wird, da heißt es „Selber Schuld!“, da wird der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen, obwohl er sich selbst nicht ertragen und sein Kreuz nicht tragen kann. Doch Gott ist da. Ihm kann ich die Schuld für das Leiden geben. Er trägt sie, in der Wüste und bis nach Golgatha … und er wird uns davon erlösen.
QUELLE: ePISTEL NO3MONKEYS
Mit Tag(s) versehen: glauben