Gott gefällt euer Gottesdienst nicht. Er verachtet ihn. Mit dieser harten Botschaft konfrontiert Amos die religiösen Führer seiner Zeit vor fast 3000 Jahren. Wie kommt er dazu? Wer war er überhaupt?

Amos lebte im 8. Jahrhundert vor Christus. Israel war damals in zwei Reiche, das Nord- und das Südreich aufgeteilt. Amos stammte aus dem Südreich, trat aber im Norden als Prophet auf. Es gab zu dieser Zeit fest an einem Heiligtum angestellte Propheten. So einer war Amos aber nicht. Eigentlich war er Schafhirte und Maulbeerzüchter. Bis er direkt von Gott berufen wurde. Mit anderen Worten: Amos war unabhängig und sagte direkt das, was im Namen Gottes gesagt werden musste. Gott gefällt euer Gottesdienst nicht.

Warum? Amos lebte in einer Zeit, in der sich das Land erholte und die Wirtschaft wuchs. Die Menschen, genauer der eine Teil der Menschen, konnte gut, ja immer besser und ohne Sorge leben. Der andere Teil der Menschen jedoch wurde  immer ärmer und ärmer, immer hilfloser. Zum Gottesdienst kamen nun regelmäßig die Reichen zusammen und vollzogen ihre rituellen Opfer. So wie Gott es wollte – dachten sie. Und dann kam Amos mit seiner Botschaft. Gott gefällt euer Gottesdienst nicht. Er verachtet ihn. Denn, der Gottesdienst ist zu einer Feier geworden, in der nicht Gott im Mittelpunkt steht, sondern in der die Menschen sich selbst in den Mittelpunkt stellen. Gottesdienst darf kein Selbstzweck sein. Gott, sein Wort, seine Liebe hören nicht mit dem Ende des Gottesdienstes auf, sondern wirken weiter. Gottes Wille ist, dass Gottesdienst und Leben zusammengehören und nicht kurz nach dem Gottesdienst die Armen wieder mit Füßen getreten werden.

Gott will, dass das Recht wie Wasser ströme und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Amos redet von falschen Gottesdiensten, weil nicht Gottes Wort und das daraus resultierende Leben in Gerechtigkeit  im Mittelpunkt stehen, sondern das leere und bedeutungslose Opfer. Amos geht es um Recht und Gerechtigkeit, das nicht vom wahren Gottesdienst zu trennen ist. Die Blickrichtung Gottes für Recht und Gerechtigkeit ist immer die in Richtung der Armen und Benachteiligten. Es ist immer die Blickrichtung des Aufrichtens und Stärkens. Mehr und mehr möge die Gerechtigkeit sein wie ein nie versiegender Bach ist.

Nun die Frage: Welcher Gottesdienst gefällt Gott, damals zur Zeit des Amos und heute?

Gott, sein Wort und seine Liebe sind Mittelpunkt des Gottesdienstes und nicht wir selbst. Gottes Wort und seine Liebe in unterschiedlicher Weise hörbar und fühlbar zu machen, dass ist unsere Aufgabe, wenn wir Gottesdienste vorbereiten. Oft wird das Stückwerk bleiben. Oft werden wir Menschen dabei unterschiedlich erreichen und ansprechen. Aber seien wir gewiss ER wird sich seinen Weg  – mit unserer Hilfe – suchen um Menschen zu erreichen.

Gott steht im Mittelpunkt des Gottesdienstes und damit verbunden die Vergewisserung, dass wir von ihm her unser Leben empfangen und somit auch die Orientierung für unser Tun und Handeln. Gott will unser Leben und Handeln beeinflussen, dass spüren wir in jedem Gottesdienst.

Gott spricht einen jeden Menschen an, berührt ihn und sieht ihn als Mitglied seiner großen Menschenfamilie an. Auf das, was daraus folgen muss, lenkt Amos besonders das Augenmerk: Vergiss die andern nicht! Gottesdienst wird unverantwortlich gefeiert, wenn die feiernde Gemeinde zwar singt und lobt, aber nur mit dem Mund, wenn sie Herz und Augen für  die Lebensumstände und die Not der anderen verschließen würde. Das Schöne, das Lobenswerte, das Spirituelle soll eine Stärkung sein für ein Leben inmitten der Welt, wie sie ist, aber kein Fluchtweg vor ihrer Not.

Daran erinnert auch Dietrich Bonhoeffers Satz, den er in der Zeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung gesagt hat: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen”. Von Gott berührt sein, heißt auch, von der Welt, von ihrem Elend und ihrer Not, von den Sorgen und Lasten der anderen Menschen, in der Nähe und in der Ferne, sich berühren zu lassen. Einfühlsam, mitfühlend, mitleidend, achtsam werden. In Klage und Fürbitte nehmen wir als Gemeinde dies solidarisch auf.

Liebe Gemeinde, auch nach dem Gottesdienst gibt es auf die vielen sozialen Probleme und Sorgen unserer großen und kleinen Welt keine einfachen Antworten.

Aber eine Antwort haben wir: Es darf uns nicht kalt lassen, denn Gottes Wille ist, dass Recht wie Wasser ströme und die Gerechtigkeit ein nie versiegender Bach sei. An der Erfüllung dieses Gotteswillen zu arbeiten, dass ist unsere Aufgabe, der wir uns im Gottesdienst immer wieder vergewissern. Eine Aufgabe, die uns jeden Tag erfüllt und ausfüllt. Die Frage des „wie“ wiegt dabei sicher oft schwer, darf aber eben nicht zu einer Ausrede werden.

Gottesdienst zu feiern hat somit immer eine Außenwirkung, strahlt aus. Anders gesagt: Gottesdienst ist keine Privatveranstaltung, die ausschließlich der inneren Erbauung dient. Gottesdienst zu feiern, heißt die Ermutigung zum Leben in einer weltweiten Gemeinschaft und darin soziale Verantwortung zu übernehmen.

„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen”.

„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“, sagt Dietrich Bonhoeffer. Jesus Christus  ist „der Mensch für andere“. In ihm hat Gott deutlich gemacht, wie sie er uns liebt, uns dient, sich fuer uns hingibt. Kirche, so Bonhoeffer, “muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftsleben teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend”. Durch ihr Wort weist sie darauf hin, wie lebenswichtig Recht und Gerechtigkeit sind.  Durch ihre beispielhafte Tat tritt sie für eine gute Gemeinschaft und gerechte Verhältnisse ein, den Menschen zum Wohl, Gott zur Ehre. Solche Hingabe fasst Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus pointiert zusammen: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewißlich wahr”.

Gottesdienst, Gottes Dienst an uns Menschen vergewissert uns der Liebe Gottes und seinem Auftrag  an uns, der daraus erwächst. Jeder Gottesdienst, der all das in uns wach hält und stärkt, damit wir die Mitte des Lebens mit und vor Gott nicht verlieren, ist ein Gottesdienst, da bin ich mir sicher, der Gott gefällt. Gottesdienst und Realität gehören zusammen. Gottesdienst und „normales“ Leben, Gottesdienst und Realität gehören zusammen.

Liebe Gemeinde, warum ist euch der Gottesdienst wichtig? Einige Antworten habe ich zu Anfang der Predigt vorgelesen. Vielleicht habt ihr eure Antwort noch konkretisieren können. Dann schreibt sie heute nachmittag auf. Schreibt auf was euch wichtig ist. Eure Antworten. Damit ihr – wenn irgendwann „Not am Mann“ – nachlesen könnt.

Gott berührt mich, damit ich bewegt und aktiv werde, meinen Glauben im Alltag lebe und die Welt mitgestalte:  „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach”, ruft Amos.